Unschlüssigkeit

Unschlüssigkeit.

Ich habe diesen Blog so genannt, weil ich dieser Tage oft das Gefühl der Unschlüssigkeit, Unsicherheit und Unentschiedenheit verspüre. Fühle ich mich wohl in Mexiko? Oder nur an den Wochenenden? Würde ich, wenn ich könnte mit Janina das Dorf tauschen oder ist das nur unterbewusstes Sehnen nach ihrer Nähe? Sollte ich in meinen Ferien (in denen ich visatechnisch zur Ausreise verpflichtet bin) nach Peru (Maccu Piccu und andere großartige Sehenswürdigkeiten), Ecuador (Interesse am Land) oder nach Nicaragua (eine andere Freiwillige, die ich sehr schätze besuchen)ausreisen? Fühle ich mich mit meinen Aufgaben unter- oder überfordert? Sollte ich mich mehr in die Dorf“gemeinschaft“ integrieren und mich weniger mit Gedichten, Gefühlen, Blog und Internet beschäftigen? Mache ich mir generell über alles zuviele Gedanken und sollte anstattdessen lieber leben? Sollte ich jetzt meinen Blog vorspulen und das Erlebte nur anreißen oder wie bisher ausführlich schreiben? Zumindest auf die letzte Frage glaube ich antworten zu können, da ich es Leid bin, in der Vergangenheit zu schreiben. Ich werde also die Kurzfassung versuchen. Die Gefühle des Jetzt sind die Entscheidenden und nicht jene, die man im Nachhinein beim Erinnern verspürt. Auch diese sind gewichtig, jedoch tauchen sie ebenso auf, wenn man die Texte über die Gegenwart der Vergangenheit liest. Sie sind also nicht verloren, im Gegensatz zu den Gefühlen, die man während oder kurz nach einem Erlebnis verspürt.

Am 8. Oktober wurde tagsüber eine kleine Exkursion für die Schüler der Primaria in unserer Schule angeboten. Das Thema sollte Wissenschaft und Ökologie sein. Dabei wurde Mülltrennung ein wenig erläutert, ein Experiment über die Leitfähigkeit von Wassern gezeigt und gebastelt. Alles in allem etwas unstrukturiert und unzusammenhängend. Nicht, dass ich unbedingt ein Meister dieser Disziplinen bin und doch war ich nicht überzeugt. Nichtsdestotrotz war es nett auch mal die Kleinen des Dorfes in Augenschein nehmen zu können und zu erkennen, dass wirklich fast ausnahmslos alle mexikanischen Menschen mit Schönheit oder Niedlichkeit oder gutem Aussehen gesegnet zu sein scheinen. Es sind zumindest mehr als die Schönheit des Durchschnittsdeutschen, falls es sowas überhaupt gibt. Nein, es gibt ihn nicht, er wird jedoch erschaffen, um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben. Willst du etwas rational beurteilen, musst du es pauschalisieren und auf seine Hauptmerkmale reduzieren.

Am Donnerstag, dem 9. ging ich dann in die Secundaria, um dort mit dem Direktor, um einen weiteren Einsatz meiner Person zu sprechen. Ich einigte mich auf eine Gruppengröße von 10-30 Schülern von 2 zusätzlichen Stunden die Woche. Dabei bat ich darum, dass es wirklich nur die Schüler sind, die es aus tiefstem Herzen lernen wollen. In der Prepatoria geht mir nämlich tierisch auf den Geist, dass man immer wieder zu hören bekommt. „Ich mag Englisch nicht, ich brauche es nicht, ich kann es nicht und ich werde es nicht können“ Das ist in etwa wie wenn man von einer großen Gruppe von Menschen, denen man helfen möchte ins Gesicht geschrien bekommt: „Gib auf!“ So entsteht außerdem ein Teufelskreis. Ich sehe, dass die Schüler keinen Spaß an Englisch habe, werde frustriert, verliere den Spaß an der Unterrichtsvorbereitung, sie wird langweilig und monoton, ergo die Schüler haben noch weniger Lust. Inzwischen sieht fast jede Stunde in der Prepa gleich aus. Grammatik des letzten Themas wird wiederholt. Beispielsätze an der Tafel bearbeitet und eine Aufgabe im Lernheft erteilt. Mir ist bewusst, dass das nicht gerade von pädagogischer Versiertheit zeugt, aber auf der anderen Seite bin ich gedanklich auch nicht immer in der Schule, sondern bereits beim Wochenende. Teilweise schäme ich mich dafür, dass ich vor diesem Frewilligendienst Feuer und Flamme für diese Aufgabe war und mich jetzt so wenig dafür einsetze, aber mir fehlt auch die Anleitung durch meinen Direktor und ich weiß nicht, ob ich mich im Vorhinein nicht (wie in der Einleitung angedeutet) überschätzt habe. Ich weiß es nicht…

Über die Secundaria kann ich jedoch noch sagen, da ich letzten Mittwoch bei ihnen gelehrt habe, dass sie zumindest aufmerksamer und ruhiger sind, als ihre älteren Kollegen. Man merkt ihnen außerdem an, dass sie lernen wollen. Ob sie fähiger, also fixer sind, kann ich noch nicht beurteilen, da ich bisher erst eine Stunde gegeben habe, in der sie Begrüßungen und „I am nice“ gelernt haben. (Aussprache ist auch bei ihnen so eine Sache…. :-/ )

Donnerstag Nachmittag fuhr ich mit zu Ivan, einem ziemlichen Witzbold und Lernfeind der Schule. Im Gegensatz zu ihm ist sein Vater wissbegierig und diskutierte mit mir über die Gleichheit des Menschen und was Rassismus doch für ein Schwachsinn sei, kauderwelschte ein Paar Worte Französisch, die er in Kanada bei einem Arbeitsplatz gelernt habe und genoß den gebratenen Fisch mit mir. Er zeigte mir, dass mein Name in der spanischen Schrift identisch mit dem biblischen Wal-Propheten Jona ist. Außerdem erfreute ich mich an den Tasten seines Keyboards. Es war schön einmal wieder etwas Klavierähnliches berühren zu können. Der nicht ganz kleine Wermutstropfen war die Erkenntnis, dass ich bereits an Fingerfertigkeit eingebüßt habe. Um diese Fähigkeit habe ich Angst, da mir das Klavierspiel in meinem bisherigen Leben oft auch guter Freund gewesen ist. Ich habe ihn nicht oft zu Rate gezogen, aber wenn, dann war auf ihn Verlaß. Ich möchte den Kontakt zu ihm nicht verlieren. Seine Sprache spreche ich bald genausowenig wie Französisch, dass mir auch zu entgleiten droht, wie ich bemerke.

Im Anschluß an meine mehr schlechtes, als rechtes Vorspiel, zeigte er mir sein Können. Technisch nicht allzu schlecht, spielte er mir ein paar mexikanische Klassiker, die auf jede schrecklich Alleinunterhalterfeier gepasst hätte. Für den Stil war es schlecht, aber einfach nicht meine Musik. Das sagte ich ihm dann auch. Das mir eigentlich englischer Rock besser gefiele und das ich auch in einer Band in Deutschland den Sänger gemimt habe. Er schien sehr interessiert, also zeigte ich ihm einige Songs. Von ihnen echt angetan bat er darum, dass ich sie ihm brenne. Außerdem gestand er mir, dass er viel lieber so etwas spielen würde, aber das er keinen Absatz für jene Musikrichtung findet und deshalb auf den Festen das übliche Gedudel spielen muss. Geknickt erzählte er mir auch davon, dass alle in der Umgebung und sogar seine Familie ihn wegen seiner Musikleidenschaft für einen mäßig Verrücken halten. A propos Familie. Ivan sprach während meines ganzen Aufenthalts ungefähr 20 Worte. Die meiste Zeit schwieg er und schaute in sein Essen. Und das, obwohl ich ihn sonst als einen der Lautesten kennengelernt habe. Ich frage mich, ob sein Vater ihn so unter Druck setzt oder diszipliniert (Es ist ja leider bekannt, dass häusliche Gewalt in Mexiko noch gebraucht wird. Ich habe glücklicherweise davon noch nichts als Augenzeuge mitbekommen, aber andere Freiwillige erzählten von unmittelbaren Konsequenzen von derartigen Übergriffen), dass er zuhause völlig eingeschüchtert und zurückhaltend ist und das in der Schule zu kompensieren sucht.

Am Freitagmorgen fuhr ich, wie inzwischen schon gewohnt, per Anhalter nach Lazaro. Da Janina erst gegen 15.°° Uhr hat kommen sollen, nutzte ich die Zeit, um ein Paar Dinge zu finden. (Wie drückt man denn die Zukunft in der Vergangenheit aus?!) Ich kaufte also ein spanisch-englisches Wörterbuch, eine Pinnwand (Meine Güte, hat es ewig gedauert, das zu erklären), Pins für die Pinnwand und Tafelstifte. Ich habe die Pinnwand kaufen wollen, um sie in meinem Zimmer aufzuhängen und anhand der Karte, die ich mir die Woche zuvor gekauft hatte, einen Überblich über meinen Standort und den anderer Freiwilliger sowie Orte, die ich noch besuchen möchte, zu verschaffen. Die Freiflächen sollten für Fotos genutzt werden. Um sie aufzuhängen, kaufte ich mir letzte Woche ein Paar Nägel. Variante Nummer 1: Fehlschlag. Die Mauer ist so hart, dass ich mit den Nägeln nichts ausrichten konnte. Also kaufte ich Klebeband. Variante Nummer 2: Fehlschlag. Der Kork ist so schwer, dass das Klebeband nicht genug Klebekraft hat, um sie an Ort und Stelle zu halten. Variante Nummer 3 folgt nach der Wochenendbeschreibungsvollendung. Nachdem ich Janina, sie mit einem Banenmilkshake begrüßend, abgeholt hatte, schlenderten wir noch ein wenig durch die Stadt, um dann mit einem Bus nach Caleta de Campos zu fahren, einem Küstendorf, in dem Maren, eine weitere Freiwillige, die ich bereits vorher schon mal erwähnt habe, arbeitet.

Caleta ist nicht mit Las Canas zu vergleichen. Caleta hat einen wunderschönen Hauptplatz, an dem sich alles was Rang und Namen hat, trifft und auf den Bänken schwatzt, palavert, neueste Gerüchte austauscht, flirtet, lebt. Caleta hat mehr als eine geteerte Straße. Caleta hat eine Bucht! Das Wasser ist wunderbar angenehm und die Strömung ist angenehm aufregend. Den Strand bewunderten wir aber erst am Samstagmorgen. Zuvor genoßen wir die Ruhe des Hauses, das wir mieteten. Zu wunderbar günstigen 150 Pesos die Nacht, umgerechnet 5 Euro, bekam man 3 Zimmer + Küche + Bad mit 6 Betten. Unglaublich, nicht wahr?

Aber Maren wohnt auch nicht gerade heruntergekommen. Die Küche ist so groß, wie bei uns der größte Raum, außerdem ist alles gefließt. Zumindest im zweiten der drei Stockwerke. Auch da packte mich wieder der Neid. Außerdem lernt sie gerade Purhepechas-Geige, was ich auch durchaus für beneidenswert halte.

Samstag packte uns außer dem Neid, der mich packte, die Furcht vor einem Zyklon, der uns von Marens Gastmutter angekündigt wurde. Außer einem starken Regen- und einem nicht weniger starken, sprich langanhaltenden Stromaus-Fall, suchte uns gottseidank jedoch nichts heim. Wir entdeckten jedoch, dass wir ohne Elektrizität nicht kreativ genug sind, uns sinnvoll zu beschäftigen. Sehr ernüchternd.

Sonntagnachmittag erwarb ich dann noch ein sanftgelb-kitschiges Moskitonetz in Caleta und war fortan mit blauem Plastiksack und Pinnwand bewaffnet.

Da wir (Janina und ich) keine große Lust verspürten, die Stadt bereits am Sonntag nachmittag zu verlassen, entschlossen wir uns kurzerhand und ohne groß (weiter) darüber nachzudenken, einfach bis Montag morgen zu bleiben. Dies hatte dann einen sehr gekürzten Nachtschlaf zur Folge, da wir um 4 Uhr aufstanden. Aber wir kamen beide rechtzeitig in unseren Dörfern an. Ich glaube das Schlimmste in der Woche sind die Busfahrten zurück ins Dorf nach einem erneut sehr genießendswürdigen Wochenende und der darauffolgende Montag. Ununterbrochen fragt man sich, warum denn die Wochenenden so kurz sind und wie lange es noch dauert bis das nächste anbricht. So ist es zumindest, wenn ich aus meiner Sicht spreche. So weiß ich auch diesmal nicht, was ich Erzählenswertes an jenem Montag gemacht habe. Und auch heute (Montag, der 20. Oktober) ist bisher nichts Spannendes geschehen.

Am Dienstag freute ich mich Jose, den anderen Sohn von Gavina, meiner Gastmutter, zu Hause anzutreffen. Mit ihm wagte ich mich an die Operation Pinnwand und Moskitonetz. Dazu kaufte ich neben den Nägeln auch etwas Schnur, um das Netz aufzuhängen. Doch wie erwähnt hatte ich mit den Nägeln kein Glück. Und auch das Moskitonetz erwies sich als widerspenstiger als gedacht. Erst bekam ich die Schnur nicht über den Deckenbalken und dann schien es zu klein zu sein. In der Zwischenzeit macht mir die Kombination aus Ventilator und Netz Probleme, da der Luftstrom entweder das Netz in mein Gesicht oder den Eingang aufweht. Ich bilde mir jedoch ein, dass ich seit ich es habe, nicht ganz so mückengeplagt bin, weshalb ich die Nebenwirkungen in Kauf nehmen kann.

Nun jedoch zurück zur Pinnwandaktion. Klebeband nicht, Nägel nicht und nun habe ich heute versucht es mit dem Bindfaden an einem Nagel, der bereits hängt, aufzuhängen. (Das an dem Nagel ein Jesuskreuz hängt, verschweige ich mal.) Auch dieser Versuch scheitert, da sich die Wand durch ihr Eigengewicht biegt und die Ecken zur Mitte streben. Dabei habe ich doch die Karte so schön mit Pins und Fotos präpariert.

Zur Feier des Kommens (Vielleicht auch nur aus Spaß an der Freude) von Jose fuhren Yvonne,Tere, Sofia (eine Schülerin und die Exfreundin von Jose), Ricardo, Jose und ich jenen Abend in einen anderen Ort, um dort zu Abend zu essen. Ich war völlig aus dem Häuschen als ich dort Handyempfang entdeckte. Das musste ich ausnutzen. Sofort schrieb ich eine Sms an Janina und es war ein tolles Gefühl spontane Kontaktmöglichkeit zu haben. Außerdem klingelte ich sie spielerisch an. Ihre Sms zu empfangen war ebenso toll wie eine schreiben zu könne, weniger toll jedoch war ihre Frage, warum ich denn Netz habe, da ich das ja in der Sms erläutert hatte. Ich schrieb also noch eine. Da daraufhin aber keine Antwort kam, entschloss ich mich sie anzurufen. Es stellte sich heraus, dass es nur möglich war, zu telefonieren, Sms‘ jedoch nicht ihren Empfänger erreichten. Trotzdem fühlte ich mich nicht besonders gut, in das Dorf ohne Außenwelt zurückzukehren. Naja, immerhin habe ich Internet. Trotzdem ist es das, was mir mit am meisten fehlt, glaube ich. Spontaneität. Die Möglichkeit kleine Nettigkeiten zu versenden oder zu empfangen und so Dämpfer des Schlechtfühlens zu erschaffen.

Ich hole auf wie ihr seht. Noch bin ich nicht ganz in der Gegenwart angelangt, aber ich komme voran. Bis bald… Ich vermisse die meisten, die das hier lesen… Passt auf euch auf!

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